Interview

Ingrid Brodnig über Hass im Netz: „Humor ist die beste Waffe gegen Hasskommentare“

Buchautorin und Journalistin Ingrid Brodnig. © Ingo Pertramer/Brandstätter Verlag
Buchautorin und Journalistin Ingrid Brodnig. © Ingo Pertramer/Brandstätter Verlag

Nach ihrem ersten Buch „Der unsichtbare Mensch“ (Czernin, 2013) über Anonymität im Internet hat sich die Wiener Journalistin Ingrid Brodnig (Ex-Falter, jetzt profil) in ihrem neuen Werk einem ähnlichen Thema gewidmet: dem „Hass im Netz“ (ab 25. April, Brandstätter Verlag). Auf rund 230 Seiten analysiert sie, wie Hass-Postings die Diskussionskultur im Internet prägen, wer davon getroffen wird, und welche Strategien man dagegen einsetzen kann. Heute Abend wird sie bei der Präsentation in der Wiener Buchhandlung Morawa Einblicke in ihre Recherchen geben. Mit TrendingTopics.at hat Brodnig über Facebook, automatisierte Propaganda und die oft wiederholte Faustregel „Don´t Feed The Trolls“ gesprochen.

Der Titel deines neuen Buchs lautet „Hass im Netz“. Was war der Auslöser, sich an die 230 Seiten zu setzen?

Ingrid Brodnig: 2015 waren schon viele Leute erstaunt, mit welcher Härte im Web diskutiert wird und wie rasant sich Gerüchte verbreiten. Ich habe immer wieder zum Thema recherchiert, und eine Recherche zum Thema Lügenpresse war besonders spannend. Ich habe dafür mit einer  besorgten Bürgerin gesprochen, eine Mutter aus Westösterreich, und der war die Angst wirklich anzuhören. Da ist mir aufgefallen, wie effizient Halbwahrheiten verbreitet werden und wie effizient Angst gemacht wird. In den Echokammern im Netz hallt die Lüge natürlich besonders gut wider. Das war für mich der Auslöser, ich wollte die Taktiken im Netz aufzeigen.

Wer sind die Opfer der Hass-Postings? Laut Guardian sind es vor allem Frauen und Minderheiten. Deckt sich das mit deinen Recherchen?

Es wäre falsch zu sagen, dass nur Frauen oder einzelne Gruppen Wut im Web erleben.  Alle Geschlechter sind von Anfeindungen online betroffen, nur ist der Hass gegenüber Frauen oft umso sexualisierter. Bei Frauen, die in der Öffentlichkeit stehen, geht es selten darum, ob ihre Aussage klug war oder nicht, es heißt schnell: Du dumme Fotze, du hast dich bloß hochgeschlafen. Das reicht bis hin zu Vergewaltigungsdrohungen. Heißt: Frauen erleben oft Hass, der sehr persönlich ist. Hier können wir häufig die Taktik des Silencing beobachten: Da wird so lange sehr derb gegen eine Person des öffentlichen Lebens gepostet, bis diese sich entscheidet, nichts mehr zu sagen. Das trifft oft eben Frauen und Minderheiten.

Mit welchen Mitteln arbeiten Hetzer? Stimmt es, dass auch automatisierte Software zum Einsatz kommt, um Hassbotschaften systematisch in Foren und Social Media zu streuen?

In Österreich ist mir das noch nicht aufgefallen. Automatisierte Propaganda und Wutkommentare ist eher ein geopolitisches Phänomen. Russland etwa arbeitet intensiv daran, Meinungsmache im Netz zu betreiben. Das größere Problem ist: Das Netz ist ein Zerrspiegel, weil diejenigen, die besonders laut schreien, sehr präsent sind, obwohl sie oft nur eine Minderheit darstellen. Das ist ein Problem, weil die Proportionen auseinandergeraten, und man das Gefühl bekommen kann, dass alle das so sehen – auch wenn das nur einzelne wenige sind.

Stichwort Filterblase: Besteht die Gefahr, dass Hetze im Netz viral wird, oder erreichen solche Inhalte ohnehin nur die, die dafür schon empfänglich sind?

Es gibt menschliche und technische Faktoren, dass Wut besonders leicht sichtbar wird. Wissenschaftler der Carnegie-Mellon-Universität haben herausgefunden, dass Online-Kommentare mit Schimpfworten mehr Zuspruch in Form von Likes und grünen Stricherln bekommen. Und dann kommen technische Faktoren dazu: Gerade auf Facebook reagiert der Algorithmus auf Interaktionen. Wenn viele auf Like klicken oder kommentieren, dann erhöht sich die Reichweite des Posts. Wer aggressiv postet, erreicht viele Menschen. Daraus erklärt sich auch, dass Populisten am rechten wie am linken Rand sehr sichtbar sind, in Österreich etwa Heinz Christian Strache von der FPÖ oder in Deutschland Sarah Wagenknecht von den Linken.

Ist Facebook die größte Plattform, über die im deutschsprachigen Raum Hetze verbreitet wird?

Das ist eine gute Frage. Keine Webseite der Welt prägt die digitale Debatte so sehr wie Facebook. So ist es nur logisch, dass es ein Ausmaß an Wut existiert, die es nirgendwo anders gibt, in keinem anderen sozialen Medium sind täglich mehr als eine Milliarde Menschen aktiv. Das Kernproblem: Wir wissen nicht, wie viele Menschen bei Facebook nun wirklich als Moderatoren arbeiten. Es wurden 300 Mitarbeiter bei der Bertelsmann-Tochter Arvato engagiert, um gemeldete Postings zu moderieren, aber wir wissen nicht, wie viele das weltweit machen und wie hoch die Löschquote ist. Um eine ordentliche Debatte darüber führen zu können, bräuchten wir diese Informationen, deswegen wünsche ich mir da mehr Transparenz von Facebook.

Hat Arvato dafür sorgen können, dass Facebook zumindest in Deutschland die Hass-Postings in den Griff bekommen hat?

Ich bin mir nicht sicher. Es gab zumindest Kommentare aus der Ecke der Rechtspopulisten, dass sie sich dadurch in ihrer Meinungsfreiheit eingeschränkt sehen. Wutkommentare muss man auch immer in einem politischen Kontext sehen, es gab zwei große Wellen, einmal zum Beginn der Flüchtlingskrise, und einmal nach Köln. Dass sie jetzt zurückzugehen scheinen, ist nicht der Verdienst von Facebook alleine, sondern größere gesellschaftliche Entwicklungen.

Im Zuge der Flüchtlingskrise haben Artikel contra Flüchtlinge auf Facebook große Reichweiten erzielt. Profitieren Online-Medien von der negativen Stimmung?

Online-Medien profitieren von Polarisierung. Bei Themen wie Flüchtlingen gibt es eben sehr viele Menschen, die bereit sind zu klicken. Diese Klick-Bereitschaft wiederum führt dazu, dass man diese Menschen noch mehr mit diesen Themen bedienen will. Das heizt die Debatte an, gerade im Boulevard wird mitgezündelt, etwa wenn Kommentare in die Berichterstattung einfließen oder sehr reißerische Headlines geschrieben werden. Nicht nur in Online-Medien geht die Provokation gut, auch im klassischen Journalismus wird Provokation gebracht.

Hass-Kommentare sind also ein gefundenes Fressen für Medien?

Ja, leider.

Politiker argumentieren immer wieder, dass Klarnamen das Problem lösen können, weil vor allem im Schutz der Anonymität gehetzt wird. Sind echte Identitäten im Netz eine Lösung?

Es wäre zu kurz gedacht, wenn man glaubt, dass man das Problem lösen kann, wenn man die Anonymität im Netz abschafft. Wenn man anonym ist, fallen Hass-Kommentare leichter, aber das ist nicht der einzige Faktor. Es gibt den Online-Enthemmungseffekt, den der Psychologe John Suler festgestellt hat. Im Netz sieht man das Gegenüber nicht, wichtige Signale wie Augenkontakt, Mimik und Gestik fallen weg. Das führt dazu, dass man die Emotion des anderen nicht so mitbekommt. Das macht es einfacher, härter zu sein. Ich bin immer wieder überrascht, was Menschen unter ihrem echten Namen posten, obwohl sogar ihr Arbeitgeber im Profil angegeben ist.

Dein Buch verspricht Tipps zum Schutz vor der digitalen Hasskultur. Ist “Don´t Feed The Trolls” ein guter oder schlechter Tipp?

Manchmal kann das durchaus sinnvoll sein, aber ich warne davor, das als Kernansatz zu verwenden. Einfach nicht zu reagieren und wegzuschauen ist der falsche Weg.

Kannst du uns 3 konkrete Tipps verraten?

Erstens kann man unfaires Verhalten in einer Diskussion, etwa wenn jemand Themen-Hopping betreibt, einfach benennen. Andere Menschen lesen ja mit und denken sich dann: Ah ja, stimmt eigentlich. Das Erinnern an Mindesstandards ist wichtig. Das zweite ist, dass Menschen in Online-Diskussionen mit komplett falschen Erwartungen hineingehen. Sie glauben oft, die anderen überzeugen zu können, aber das ist einfach unrealistisch. Manchmal reicht es, dem Opfer den Rücken zu stärken und es wissen zu lassen, dass man hinter ihm steht. Und der dritte Tipp: Humor ist die beste Waffe gegen Hass-Kommentare. Humor kann unglaublich beeindruckend sein, wenn Menschen, die angefeindet werden, mit einem Augenzwinkern antworten. Da gibt es ein wunderbares Beispiel: Auf Twitter hat jemand geschrieben, dass sein linker Hoden wie der Popsänger James Blunt aussehe. Blunt hat darauf geantwortet: Dann solltest du zum Arzt gehen. Er hat dafür unheimlich viel Respekt geerntet, sogar von dem User selber, der in angegangen ist. Mit einem Witz kann man manchmal viel Dramatik aus der Debatte nehmen, Humor kann dabei helfen, in erhitzten Diskussionen wieder die Relation zu sehen.

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